Das böse, böse C-Wort – damit meine ich nicht ein sehr unartiges englisches Schimpfwort, sondern Covid-19. Materialisiert und greifbar wurde es für mich in Form von zwei Betonklötzen, die die einzige Straße in und aus dem Dorf absperrten, am Freitag, den dreizehnten. Für sechs Wochen. Stillstand.
Science-Fiction und Hausarrest
Mit einem Mal ist es sehr, sehr leise im Dorf. Die Pisten, die Terrassen, die Straße, selbst die Luft ist still. Eine beruhigende angenehme Stille … die Vögel singen schöner und lauter als die Après-Musik, Adler lösen Helikopter ab und auf den Pisten tummeln sich Hirsche, Gämsen und andere Vierbeiner anstatt zweibeiniger Schneesportler.
Knapp drei Wochen fesselt mich das böse C-Wort ans Bett mit dem stetigen Blick nach draußen. Drei Wochen sind eine lange Zeit, um zu beobachten, allein zu sein (viel zu lange!) und nachzudenken. Es scheint mir, als ob ein Science-Fiction-Film Realität geworden sei – nicht im Sinne eines wahnsinnigen Professors, der die Menschheit vernichten will, sondern mit Mama Natur als lautlose Hauptdarstellerin, die den Spieß umdreht. Uns den Spiegel vorhält und Hausarrest erteilt. Sie hat uns Zeit geschenkt. Das Gut, das wir als so knapp und wertvoll ansehen. Wie ein Ameisenhaufen, der gezwungen wird, innezuhalten.
Zwei Erkenntnisse von vielen möchte ich aus der Isolationszeit teilen: 1. Gesundheit ist alles! (Mit drei Ausrufezeichen, mit Großbuchstaben geschrieben und dreifach unterstrichen.) 2. Das Leben sind die Menschen in unserem Leben!
Ich habe mich immer als große Verfechterin des Offline gesehen. Obwohl ich online mein Geld verdiene – ich bin mir der Ironie mehr als bewusst. „Online“ war für mich immer ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug, aber nie von großer emotionaler Bedeutung, bis ich an Covid-19 erkrankt bin. Online hat mir die Möglichkeit eröffnet, mit all jenen realen Menschen in Kontakt zu bleiben, die meinem Herzen am nächsten sind.
Reale Freunde online
Schallendes Gelächter dröhnt aus dem Lautsprecher. Wir verabschieden uns, winken und dann Totenstille. Das blaue Bildschirmlicht erhellt die Wand hinter mir. Mit einem Klick sind meine realen Freunde weg. Meine Linke schließt den Laptop, während die Rechte nach dem Rotweinglas greift. Ein großer Schluck sollte die Stille wieder etwas erträglicher machen, aber so ganz allein ohne Bildschirmfreunde muss der Anblick genauso traurig sein, wie er sich anfühlt.
Mein Blick wandert aus dem Fenster Richtung Berge und ich erinnere mich an die Zeit vor Covid-19. Es scheint mir fast, als müsse man eine neue Zeitrechnung beginnen … eine Zeitrechnung vor und nach besagtem bösem C-Wort.
Mea culpa – ich bin heimatblind
Mea culpa – ich bekenne mich schuldig. Mein Zuhause zählt zu den schönsten auf diesem Planeten, das ist natürlich meine rein subjektive, unvoreingenommene Meinung. Jedem Stein, jedem alpinen Blümchen wird Beachtung geschenkt, die Gipfel im Wechsel der Jahreszeiten angehimmelt und mindestens jeder Baum wurde schon zweimal umarmt. Selbst die Murmeltiere und Steinböcke haben schon Vor- und Nachnamen. Manche haben sogar einen zweiten Vornamen. Trotzdem ist das Bekannte, das Sichere, das Gewohnte manchmal nicht aufregend genug. Der Schritt wird dann schneller und der Blick enger. Nur manchmal wird die Kamera gezückt.
Hin und wieder passiert es, dass die Heimatblindheit die Couch attraktiver macht als den Berg-Spielplatz. Interessanterweise meldet sich immer dann ein Herzensmensch: „Vreni, wir haben frei und sind auf dem Weg zu dir!“ Sie machen sich auf eine lange Reise aus fernen Ländern, um mein kleines Bergparadies zu besuchen. Nach der ersten herzlichen Umarmung und einem atemlos freudigen Gespräch drehen sie sich um die eigene Achse, staunend über meine Nachbarn: die Berge. Jedes Mal bringt es mich zum Strahlen! „Such dir einen Gipfel aus“, sage ich dann immer schmunzelnd. „Da geht es dann morgen hinauf!“
Vor- und Nachnamen
Spätestens am Gipfel, wenn alle Bäume umarmt sind, Bekanntschaft mit Heribert, Hubert und Heidi gemacht wurde, der Schweiß aus den Augen gewischt ist und der erste Blick leicht schwer atmend auf den Horizont fällt, verliebe ich mich jedes Mal aufs Neue in das Stückchen Erde, das mein Zuhause ist. Meinen Freunden geht es genauso – ob der Schweiß oder die Bergschönheit die Tränen zum Steigen bringen oder die schiere Verzweiflung, wage ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ein bisschen was von allem. (Kleiner Tipp: Zucker in jeglicher Form hilft immer!)
Zur Belohnung gibt es einen Gipfelapfel, der mit Genuss am Gipfelkreuz lehnend verzehrt wird. Während mein Blick über den Horizont schweift und ich die strahlenden Gesichter neben mir sehe, fällt mir ein Spruch ein: „Happiness is only real when shared!“, Kitsch pur mit einem leicht widerwärtigen Beigeschmack. Verdammt! Es ist wirklich so! Selbst wenn es mit Strasssteinchen glitzernd vor einem pinken Hintergrund billig glitzert.
Was wirklich zählt
Ein Gipfeltag gehört immer (wirklich immer) ausgiebig zelebriert! Der Tisch ist reich gedeckt mit bestem Essen. Ein Strauß Alpenblumen und Kerzen machen die Stube noch heimeliger. Mit hochroten Ohren wird diskutiert, leidenschaftlich debattiert und haltlos werden Tränen gelacht.
Mein Blick wandert zurück in die kleine stille Wohnung. Das Glas Rotwein noch immer in der Rechten. Ich erhebe es: „Auf uns! Hoffentlich ganz bald in Real, wenn das böse, böse C-Wort endlich verschwunden ist!“
Denn das Leben sind die Menschen in unserem Leben.
Gastautorin: Vreni Wingelmayr von @vrenivomberg