Als Volksschulkind habe ich mit meinen Eltern eine Dokumentation über den Großglockner im Fernsehen gesehen. Aufgewachsen in der lieblichen südoststeirischen Hügellandschaft, waren die Schroffheit und Intensität dieses Berges für mich unbekannt und faszinierend. „Ich will da rauf!“, habe ich meinen Eltern damals verkündet – etwas naiv und unüberlegt, aber trotzdem voller Ernst.
Damals haben mir die Möglichkeit und die Mittel gefehlt, um dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Der Traum blieb aber bestehen. Und dann, gute 20 Jahre später, ist er mir wieder ins Bewusstsein gekommen und ich habe erkannt: Jetzt habe ich sowohl die Möglichkeit als auch die Mittel. Somit wurde aus dem Traum ein Plan und schließlich auch Realität.
Der frühe Vogel …
Freitagmorgen, 04:45 Uhr, im Schlafsaal der Stüdlhütte, auf die wir schon am Vortag gewandert sind. Mein Wecker läutet. Trotz der ungewöhnlich frühen Uhrzeit bin ich sofort hellwach. „Heute ist der Tag!“, denke ich mir mit einem Lächeln im Gesicht, als ich mich aus meinem Schlafsack befreie – so leise wie möglich, um die anderen, noch schlafenden Bergsteiger nicht zu wecken.
Ich bin die Erste, die aufsteht – und das bewusst. Ich möchte diesen besonderen Tag in Ruhe starten, ein paar Momente für mich haben, um mich auf das bevorstehende Abenteuer einzustimmen. Ich tappe im Dunkeln durch die Hütte in den Waschraum – elektrisches Licht gibt es nur in der Gaststube, denn Strom ist auf 2.801 Metern Höhe ein knappes Gut. Nach und nach erwacht auch die restliche Belegschaft und man hört erste Geräusche in der Küche, die darauf hindeuten, dass es bald Frühstück gibt.
Um 05:20 Uhr sitzen wir – meine zwei Begleiter, unser Bergführer und ich – am Frühstückstisch. Eine gute halbe Stunde später schreiten wir in voller Montur in einen sternenklaren Morgen.
Wenn Träume wahr werden
Die erste Stunde des Aufstiegs findet in Dunkelheit und andächtigem Schweigen statt. Der Mond und unsere Stirnlampen spenden uns Licht. Dann wird es langsam hell, der Himmel färbt sich orangerot und das umliegende Panorama kommt nach und nach zum Vorschein. Es ist magisch. Wir bleiben kurz stehen, um die Stimmung auf uns wirken zu lassen und unsere Steigeisen anzulegen. Schon sind wir am Gletscher angelangt und folgen Peter, unserem Bergführer, in der Spur durch den Schnee. Über ein Seil, das an jedem unserer Klettergurte befestigt ist, sind wir alle vier miteinander verbunden. Es braucht ein bisschen, bis wir unser Tempo und den idealen Abstand zueinander gefunden haben. So marschieren wir weiter, Schritt für Schritt dem Gipfel entgegen.
Wir erreichen die Adlersruhe – Österreichs höchstgelegene Hütte –, machen kurz Rast und treten dann das letzte Stück des Aufstiegs an. Es ist jetzt felsig geworden, Trittsicherheit ist gefragt und auch die Hände kommen zum Einsatz. Immer wieder müssen wir auch ausweichen, um schnelleren oder herunterkommenden Bergsteigern Platz zu machen. Die Sonne strahlt vom Himmel, die Sicht ist klar und atemberaubend schön. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, doch der Gipfel scheint schon zum Greifen nahe. Nach einem letzten steilen Felsaufstieg kommen wir tatsächlich oben an. Das ist er also, der höchste Punkt Österreichs. So viele Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet. Es ist noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich kann mein Glück gar nicht fassen. „Du schaust aus wie ein Kind zu Weihnachten“, sagt einer meiner Mitstreiter. Und genauso fühle ich mich auch.
Vom Gipfel ins Tal
Nach einer kurzen Pause, ein paar Fotos und einem selbst gemachten Müsliriegel verlassen wir den Gipfel wieder und treten den Abstieg an. Auch dieser nimmt wieder ein paar Stunden in Anspruch. Wir sammeln nach und nach wieder die Ausrüstung ein, die wir beim Aufstieg zurückgelassen haben (Wanderstöcke, Jacken, Rucksäcke etc.) und holen in der Hütte, in der wir übernachtet haben, unser restliches Gepäck wieder ab. Jetzt geht es noch die letzten zwei Stunden zurück ins Tal nach Kals am Großglockner, wo wir erschöpft und glücklich den Abend ausklingen lassen und am nächsten Tag die Heimreise antreten.
Hard Facts
Neben dieser persönlichen Erfahrung hier noch ein paar grundlegende Informationen zur Großglockner-Besteigung: Mit 3.798 Metern ist er der höchste Berg Österreichs. Der Auf- und Abstieg über den Normalweg von der Stüdlhütte dauert je nach Ge(h)schwindigkeit und Pausengestaltung zwischen sechseinhalb und neun Stunden. Ganz Fitte können den Gipfel auch ohne Hüttenübernachtung direkt vom Tal stürmen (ca. 12–14 Stunden). Die Begleitung eines geprüften Bergführers wird unbedingt empfohlen. Entsprechende Vorerfahrung, Trittsicherheit und zielgerichtetes Training sind Grundvoraussetzung für die Expedition. Auch sollte man sich vor Aufbruch über die Risiken in Bezug auf Wetterumschwünge, Gletscherspalten und Bergsteigen im Hochgebirge allgemein informieren und sich entsprechend vorbereiten.
Tipps für die Vorbereitung
Ein vielseitiges Ausdauertraining, ergänzt mit gezieltem Krafttraining für die Beinmuskulatur, Mobilisations- und Dehnungsübungen, bilden ein abgerundetes Trainingsprogramm. Klettererfahrung ist per se nicht notwendig, meiner Erfahrung nach aber sehr nützlich und empfehlenswert. Auch das Gehen mit Steigeisen sollte vor der Expedition geübt und die Wanderschuhe eingetragen werden.
Ich persönlich bin in der Vorbereitungszeit (ca. vier Monate vor dem Gipfeltag) hauptsächlich wandern und spazieren gegangen – mehrmals wöchentlich für zwei bis vier Stunden und in der letzten Phase vor der Expedition auch ca. einmal pro Woche etwas länger (6–9 Stunden). Dadurch habe ich eine gute Grundlagenausdauer erreicht, war auch mental auf längere Märsche vorbereitet und hatte mit den Höhenmetern keinerlei Probleme (obwohl ich in der Vorbereitung großteils unter 1.500 Metern Seehöhe unterwegs war). Zusätzlich habe ich täglich Yoga praktiziert und war regelmäßig bouldern.
Unbedingt sollte auch der Termin (idealerweise zwischen Juni und September) so früh wie möglich fixiert werden, damit auch noch ein Bergführer zur Verfügung steht.
Tipps für die Ausrüstung
Ein Wort: Zwiebellook! Auf einem Berg dieser Höhe muss man für jede Wetterlage gewappnet sein. Von eisigem Wind bis hin zu strahlendem Sonnenschein ist alles möglich. Eine wind- und wetterfeste Jacke, steigeisentaugliche Wanderschuhe, Handschuhe und eine Kopfbedeckung sind – auch im Sommer – ein Muss. Auch eine Sonnenbrille und Sonnencreme dürfen nicht fehlen, ein trockenes T-Shirt zum Umziehen am Gipfel ist auch eine gute Idee. Ansonsten empfiehlt es sich, nur das Notwendigste mitzunehmen: ein bis zwei Liter Wasser, ein paar kleine Snacks, die schnell Energie liefern. Klettergurt, Helm und Steigeisen werden vom Bergführer zur Verfügung gestellt.
Mit ausreichender vielseitiger Vorbereitung, der richtigen Ausrüstung und angenehmer, ebenfalls vorbereiteter Begleitung steht einem erfreulichen Gipfelsturm nichts im Wege. Abgesehen davon bleibt mir nur mehr, Ihnen viel Freude und „Bergheil“ zu wünschen.