Im letzten Artikel zum Thema Artenvielfalt haben wir uns angesehen, was sich in der Natur in den letzten Jahren verändert hat, welche Arten immer weniger werden und wie wir alle einen kleinen Teil dazu beisteuern können, um eine möglichst hohe Biodiversität zu erhalten. Heute geht’s ans Eingemachte: Wir lernen, wieso Ausrottung nicht linear funktioniert, wie wir für Insekten sorgen können und warum das auch größeren Arten etwas bringt.
Vom Spatzenmord zur Selbstbefruchtung
Schmetterlingswiesen, Bienenhotels, Insektenbrutkästen? Wozu bitte? Damit mich das Ungeziefer noch mehr nervt? So mancher Hausbesitzer rollt beim Thema Artenvielfalt mit den Augen. Nur leider ist dieser Zugang ein wenig kurzsichtig. Den Beweis dafür liefert China. Der Erzählung nach hat im China der späten 1960er-Jahre der damalige Herrscher Mao Tse-tung drastische Maßnahmen angeordnet, um die Getreidefelder von gefräßigen Spatzen zu befreien. Die Mission gelang – innerhalb weniger Jahre ging die Population stark zurück. Das Problem: Nun ging das Getreide erst recht kaputt, denn Insekten machten sich in großer Zahl über die bestellten Felder her. Ihnen fehlte der Fressfeind. Logische Lösung: Insekten töten. Gesagt, getan. Insekten tot, leider aber aufgrund der Toxine auch das Getreide. Eine Hungersnot war die Folge. Was bleibt, ist das Wissen um komplexe Zusammenhänge innerhalb von Ökosystemen. Was ausbleibt sind – bis heute – die Bienen. In China sitzen seit Jahren tausende Wanderarbeiter jeden Frühling in den Obstbäumen und bestäuben händisch die Birnenblüten.
Gartenbesitzer aka Amor
Wir sind uns also einig – alles zu beseitigen, was zwitschert, summt und brummt, scheint nicht der richtige Weg zu sein. Stattdessen sollten wir uns ansehen, wie wir der Natur unter die Flügel greifen können. Denn einige Arten werden auch in unseren Breiten immer seltener. Als Laie ist es nicht immer einfach, über komplexe, nicht lineare Zusammenhänge Bescheid zu wissen. Die gute Nachricht – das müssen Sie gar nicht. Es gibt nämlich ein paar Ideen zur Erhaltung der Artenvielfalt, die sich ohne viel Aufwand im eigenen Garten umsetzen lassen. Wer es schafft, Tieren einen Rückzugsort zu bieten, an dem sie überwintern, ruhen und naja … der schönsten Nebensache der Welt nachgehen können, der hat schon fast gewonnen. Denn wo in Ruhe hemmungslos geflirtet werden kann, da entstehen ganz viele Tierbabys. Sehen wir uns also drei nützliche Insektenarten an, denen wir im Garten ganz einfach zu mehr Entspannung und Vermehrung verhelfen können.
Ohrenschlüpfer-Sex
Sehen wir uns genauer an, was unsere vielbeinigen Mitlebewesen so brauchen, um sich wohlzufühlen, gibt es immer einen gemeinsamen Nenner: einen gemütlichen Rückzugsort. Der sieht für Marienkäfer anders aus als für Ohrenschlüpfer. Letztere sehen mit ihren scharfen Mundwerkzeugen und den Zangen am Hinterleib ja ein wenig gruselig aus. Als Kind hatte ich ein Ohrenschlüpfer-Trauma, da es sich ein Exemplar einmal in meinem Strohhalm gemütlich gemacht hatte und ich erst draufkam, als der genüsslich hochgezogene Schluck Apfelsaft bereits in meinem Mund war. Auch das Tierchen muss sich sehr erschrocken haben. Immerhin ist es nachtaktiv und hatte mit Sicherheit nicht mit einem Apfelsaft-Bad in der REM-Phase gerechnet.
Heute weiß ich – diese Tierchen sind echt nützlich. Blattläuse gehören zu ihrer Lieblingsspeise, sie betreiben als eine von ganz wenigen Insektenarten aufwendige Brutpflege und nebenbei vertilgen sie Milben, Motten und Pilzgeflechte. Und sie lieben Rückzugsorte mit – erraten – hohlen Halmen. Das perfekte Nest für Liebesspiel und Schlafstätte hängt in einem Baum, ist wettergestützt und voller Halme, Blätter und Geäst. Einfach zu bauen mit einem kleinen Ton-Blumentopf, den man vollstopft und verkehrt herum in einen Baum hängt.
Bienen-Liebe
Über Bienen wird viel gesprochen, wenn Artenvielfalt aufs Tapet kommt. Zu Recht – denn die emsigen Summer sind Bestäuber Nummer eins, wenn’s um Obstbäume geht. Seit einigen Jahren betreiben meine Eltern mit sehr viel Fleiß und Freude ein Wildbienenhotel im Garten. Die Geschäftszeiten sind von Februar bis Mai, 24 Stunden am Tag. Das ist die Zeit, in der die adulten, voll entwickelten Wildbienen Pflanzen bestäuben, sich paaren, Eier legen und danach sterben. Die Hauptgäste sind Gehörnte Mauerbienen und Rote Mauerbienen. Das Bienenhotel ist ein großer hölzerner Klotz mit vielen Löchern, in die die Weibchen kriechen, ihre Eier ablegen und nach jedem Ei eine stabile Trennwand aus Erde und Speichel bauen, um die Eier voneinander zu trennen und zu schützen. Im Herbst werden die Hotels geöffnet, gereinigt, die verpuppten Larven ihren Kokons entnommen und so aufbewahrt, dass die geschlüpften Tiere ab Ende Februar ihr kurzes, aber umtriebiges und nützliches Leben beginnen können.
Während einer dieser Reinigungs-Aktionen habe ich mich mit einem Obstbauern ausgetauscht. Der meinte, seit er seine Hotels habe (er hat zehn davon), habe sich die Ernte um 400 Prozent gesteigert. Das sind viermal so viele Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Marillen wie davor. Das ist also Artenschutz, der sich für alle auszahlt.
Marienkäfer-Samenbanken
Die gepunkteten Rundlinge sind in Gärten gern gesehen. Die meisten Menschen wissen um ihre Vorliebe für Blattläuse und hübsch anzusehen sind sie obendrein. Aber wussten Sie, dass Marienkäfer richtige Sex-Marathons abhalten? Die Damen gehen hier besonders gewieft vor. Manche Arten statten ihre Weibchen mit Spermatheken aus (kein Schmäh), in denen die Samen der Männchen gebunkert werden, um für spätere Befruchtungen zur Verfügung zu stehen. Wer das nicht kann, arrangiert sich anders. Und zwar ziemlich umtriebig. So paart sich eine Marienkäfer-Dame gut und gern mit bis zu 20 Männchen, wobei eine Paarung zwischen einer halben Stunde und über einen halben Tag dauern kann. Danach legt der Marienkäfer seine Eier meist an der Blattunterseite von Pflanzen ab, wo es vor Nahrung nur so wimmelt. Erkennbar sind die Eier an ihrer meist sehr intensiven gelben Farbe. Wenn Sie also so etwas entdecken – eher mal nachlesen, bevor Sie es entfernen. Schlüpfen die Larven (okay, die sehen wirklich aus wie aus einem Horrorfilm), machen sie sich in Scharen am liebsten über Milben, Wanzen, Blatt- und Schildläuse her.
Wenn Sie Marienkäfern beim Überwintern helfen möchten, schaffen Sie in Ihrem Garten ein paar Häufchen mit Laub, ein paar Ästen und Steinen. Hier fühlen sich die Punktesieger wohl und ruhen sie gerne während der kalten Jahreszeit.
Alle lieben Häufchen
Diese angesprochenen Haufen und Gebilde aus Stein, Holz, kleinem Geäst, Laub und Erde sind übrigens auch gute Rückzugsorte für Amphibien wie Frösche und Säugetiere wie Igel. Lassen Sie also ruhig ein wenig mehr liegen, schichten Sie ein wenig Holz auf und sorgen Sie für lockere Erde unter den Häufchen. Wenn Ihnen das zu unordentlich aussieht, pflanzen Sie einfach ein paar Blumen rundherum, die schön blühen. So sieht es aus, als wäre auch das unordentliche Häufchen ein bewusster Teil der Gartengestaltung. Ihre tierischen Mitbewohner werden es lieben!