Veganismus – Trend oder Zukunft?
Seit etlichen Jahren ist vegane Ernährung als Trend im Ernährungssegment nicht mehr wegzudenken. Gründe gibt es freilich genug. Tierliebe, Umweltbewusstsein, Ethik, Gesundheit. Das Veganer-Klischee vom Birkenstock-beschlapften Hardliner, der in reformierender Weise Reformhäuser abklappert, gilt nicht mehr. Auf Instagram überschlagen sich die Posts gesunder Buddha Bowls, die uns dank Quinoa, Bohnen, Mandeln und co. mit allen essenziellen Aminosäuren (Bausteine aller Proteine) versorgen und an farbiger Strahlkraft kaum zu überbieten sind. Eine ausgewogene Ernährung ist mit ein bisschen Wissen um die Inhaltsstoffe also durchaus auch vegan möglich. Aber was, wenn wir viel Sport treiben und einen erhöhten Proteinbedarf haben? Geht sich das aus?
Was braucht ein Sportler?
Für uns alle gilt: Wir brauchen Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße (das sind die sogenannten Makronährstoffe), sowie Vitamine und Mineralstoffe (Mikronährstoffe), um gesund zu bleiben. Das ist für Marcel Hirscher dasselbe wie für unsereins. Was Sportler auszeichnet, ist ein gesteigerter Bedarf an Kohlenhydraten und Eiweißen.
Her mit den Kohlenhydraten!
Kohlenhydrate (z.B. aus Getreide sowie stärkereichem Gemüse wie Kartoffeln) stellen schnell verfügbare Energie zur Verfügung. Um jederzeit für körperliche Anstrengung gerüstet zu sein, speichert unser Körper auf gewiefte Weise Kohlenhydrate in Form von Glykogen in unseren Muskeln, und zwar bis zu 1% des Körpergewichts. Sind diese Speicher leer, greift der Körper auf Glykogen in der Leber zurück. Das funktioniert ein bisschen wie Kühlschrank und Speisekammer. Der Griff in den Kühlschrank geht schnell. Der Weg in die Speis ist etwas mühsamer und braucht mehr Energie.
Beim sogenannten Carbo-Loading füllen Sportler vor einem Wettkampf ihre Energiereserven durch erhöhte Zufuhr von Kohlenhydraten auf. Hier darf es auch mal exzessiver zugehen. Pasta zu Frühstück, zum Mittagessen und abends? Naja, etwas mehr Abwechslung muss schon her. Aber Kohlenhydrate sollten überwiegen. Auch das Einnehmen von Kohlenhydraten nach der sportlichen Betätigung ist für eine rasche Regeneration wesentlich. Sind dazu tierische Produkte notwendig? Mitnichten.
Vegane Bodybuilder?
Der große Knackpunkt in der Ernährungsdebatte rund um vegane Sportler ist nach wie vor die Proteinzufuhr. Aber warum eigentlich?
Muskeln bestehen aus Proteinen. Wer möchte, dass Muskeln wachsen, braucht mehr Eiweiß als jemand, der nur vor dem Computer sitzt. Am sinnvollsten ist es, dem Körper direkt nach dem Training hochqualitatives Eiweiß zuzuführen. So wird gewährleistet, dass die Aminosäuren wie mit einem Shuttlebus direkt und ohne Umwege zu den beanspruchten Muskeln gebracht werden, um dort winzige Schäden zu reparieren und Futter für den Aufbau neuer Muskelfasern anzukarren.
Lange hielt sich der Mythos, dass nur durch ausreichend Zufuhr von Fleisch und tierischen Produkten das „richtige“ Eiweiß zu den Muskeln gelangt, bzw. dass pflanzliches Eiweiß nicht vollständig wäre. Das ist allerdings so nicht richtig. Unsere Muskeln sind keine Diesel-Fahrzeuge, die bei Betankung mit Benzin den Geist aufgeben. Eine reiche Auswahl an unterschiedlichen pflanzlichen Proteinen ist Fleisch keinesfalls unterlegen. Hier (https://wecarelife.generali.at/ernaehrung-esskultur/ernaehrungstipps/proteinqualitaet-der-entscheidende-unterschied/ ) erfahren Sie, in welchen Gemüse- und Getreidesorten besonders hochwertiges Eiweiß enthalten ist.
Es gibt also keinen Grund, warum tierische Produkte notwendig sind, um Muskelaufbau zu gewährleisten.
Timing ist alles
Studien zu Ernährung und sportlicher Leistung unterstreichen vor allem die Wichtigkeit des Zeitpunkts der Kohlenhydrat- und Eiweißzufuhr. Das heißt, dass es vor allem drauf ankommt, wann wir etwas zu uns nehmen und nicht, dass es zwingend aus tierischen Nahrungsmitteln kommt. Für Sportler ist also unumgänglich, sich sowohl vor der Sporteinheit mit genügend Energie zu versorgen (hauptsächlich mit Kohlenhydraten), als auch danach genügend Proteine (Muskelregeneration und –aufbau) und Kohlenhydrate (Auffüllen der Speicher) zuzuführen. Nach dem Training sind also mehrere Mahlzeiten aus einer Kombination aus Proteinen und Kohlenhydraten empfehlenswert.
Was bringt Sportlern vegane Ernährung?
Bei gesteigerter sportlicher Betätigung werden freie Radikale gebildet, die vor allem durch pflanzliche Antioxidantien gebunden und so unschädlich gemacht werden. Eine ausgewogene vegane Ernährung ist hier als Gegenpol optimal.
Weiters belegen Studien, dass die Blutzirkulation und somit der Sauerstofftransport bei veganer Ernährung besser funktionieren. Pflanzenbasierte Nahrung unterstützt also die Sauerstoffautobahn, während viel tierisches Eiweiß eher so etwas wie die 30er-Zone mit Bodenwelle darstellt.
Hoher Fleischkonsum steht unter anderem im Verdacht, entzündungsfördernd zu wirken, wohingegen Entzündungshemmer hauptsächlich in pflanzlicher Nahrung vorkommen. Das wirkt sich vor allem in der Erholungsphase der Sportler positiv aus. Es wird also vielleicht Zeit, sich vom Bild des fleischverschlingenden Hulks zu verabschieden, der ausschließlich auf Steak und Spareribs vor dem Wettkampf schwört.
Vegan bis ganz nach oben
In den letzten Jahren haben sich immer mehr Spitzensportler zu veganer Ernährung bekannt. Unter ihnen Größen wie Formel-1 Fahrer Lewis Hamilton, Tennis-Ass Novak Djokovic oder Strongman Patrick Babaumian, der einfach mal so 555 kg trägt.
Mit der Dokumentation „The Game Changers“ (im Herbst 2019 in ausgewählten österreichischen Kinos und auf Streamingdiensten verfügbar) ist es Kampfsportprofi James Wilks gelungen, vegane Ernährung greifbarer zu machen und namhafte Athleten aufzutreiben, die sich vegan ernähren. Unter den Interviewpartnern findet sich unter anderem Terminator Arnold Schwarzenegger, der über seine Umkehr von 15 Eiern pro Tag und Steak zum Frühstück zu hauptsächlich pflanzlicher Kost erzählt. Mit einem sehr eindringlichen „Das ist alles nur Marketing“ erklärt er seine Sicht auf die Fleischindustrie, die seit Jahren mit Slogans wie „Echte Männer essen Fleisch“ oder „Du bist männlicher mit einem Burger“ wirbt. Sowohl Schwarzenegger als auch die interviewten Spitzensportler fühlen sich mit ihrer (hauptsächlich) pflanzlichen Kost wohler als davor, berichten von gesteigerter Leistung und kürzeren Erholungsphasen.
Aber aufpassen!
Es gibt natürlich Fallstricke der veganen Ernährung. Der erste ist meiner Meinung nach zu wenig Wissen und Eigenbildung, was die Zusammensetzung unserer (veganen) Ernährung betrifft. Als halbwegs ausgewogene „Allesfresser“ sollten wir im Normalfall keine Probleme mit Mangelerscheinungen haben. Vegane Kost muss jedoch vor allem auf ausreichend Zufuhr von Eisen, Kalzium, Vitamin B12 und Vitamin D eingestellt sein, da diese Mikronährstoffe hauptsächlich in tierischen Produkten zu finden sind.
Unser Fazit:. Weniger Fleisch – ja bitte. Mehr Gemüse – unbedingt. Pflanzenbasiert sporteln – wieso nicht? Vegan von null auf hundert? Eher mal langsam. Besser zuerst vegetarisch herantasten, nachlesen, herausfinden, was einem gut tut und dann langsam umstellen.
UNSER BUCHTIPP
Travis Thomas, Kelly Anne Erdmann, Louise M. Burke: „Nutrition and Athletic Performance”, Artikel in Medicine and science in sports and exercise, 2016