Streuobst löst im ersten Moment den Gedanken nach zu Boden plumpsenden Äpfeln und Zwetschgen aus, die vor sich hin faulen und maximal noch ein paar Mistkäfer begeistern. Das ist aber weit gefehlt. Denn kaum ein Biotop lässt eine solche Artenvielzahl in Symbiose nebeneinander leben wie locker bepflanzte Streuobstwiesen. Das Streuen im Streuobst kommt nämlich ursprünglich aus der verstreuten Bepflanzung der Wiesen. So ließen die Bäume genug Platz für Grasflächen, die sich wiederum zum Verfüttern an Tiere eignete. Und Wildtiere profitieren auch ohne Mähen von den Wiesen.
Ein Hoch auf die Nachhaltigkeit
Kein Dünger, keine Spritzmittel – das ist der Normalzustand einer Streuobstwiese. Da diese Wiesen nicht für extensive Landwirtschaft genutzt werden, müssen sie auch nicht „performen“, also besonders viel Ertrag bringen. Eine gute Durchmischung der Obstsorten macht sie außerdem widerstandsfähiger gegen sortenspezifische Krankheiten, die sich so nicht weitflächig ausbreiten können. Und zu guter Letzt ist die Streuobstwiese eine der wenigen Flächen, auf denen auch heute noch urtümliche lokale Obstsorten wachsen, die sich über Jahrhunderte den regionalen Begebenheiten angepasst haben. Der Schutz alter Sorten wird vor allem durch private Bepflanzung und eben den Erhalt von Streuobstwiesen möglich.
Streifen haben immer Saison
Insektensterben ist seit einigen Jahren kein Fremdwort mehr. Fielen dem Laien anfangs vor allem die fehlenden Schmetterlinge auf, die sonst in großer Zahl Sommerflieder und Blumenwiesen besuchten, sind es eher die Bienen, die es schlussendlich auch in die Medien geschafft haben. Denn sie sind, wenn sie im Stock leben, nicht nur Lieferant von Honig, sondern in jeder Lebensform wichtige Bestäuber einer Vielzahl von blühenden Pflanzen. An Wildbienen denken hierbei die wenigsten, obwohl sie in der Natur in der Überzahl vorkommen. Diese Bienen leben solitär, also allein und machen gerne ihr eigenes Ding. Sie schlagen sich in Blumenwiesen und an Baumblüten die haarigen Bäuchlein voll, fliegen von Pflanze zu Pflanze und tragen in ihren dicken gelben Hosen so die Pollen von Blüte zu Blüte. Da sie ihre Eier in kleine, gut verschließbare Löcher legen, fühlen sie sich auf Streuobstwiesen besonders wohl. Hier gibt es viele kleine Ausbuchtungen und Löcher im Holz, in der die kleinen Bienen sicher von der Larve zur Puppe und schließlich zur adulten Biene heranwachsen. Eine Wildbiene kann also ihren gesamten Lebenszyklus auf einer einzigen Streuobstwiese verbringen.
Alles, was Flügel hat
Vor allem flugbegabte Wiesen- und Waldbewohner freuen sich über Streuobstbäume. Käuzchen nisten gerne in den Baumhöhlen, Insektenlarven wachsen an und in den Obstbäumen heran und Fledermäuse machen es sich auch gerne mal in den Baumkronen bequem. Von hier aus jagen sie wiederum Insekten, die gerne in der Nähe von Obstbäumen leben. Dabei hat jedes Tier ganz bestimmte Vorlieben und Lieblingsspeisen. Das große Nachtpfauenauge etwa gehört zu den Feinspitzen – am liebsten sind ihm Kirschenbäume, auf denen es heranwächst und sich zum fertigen Schmetterling entwickelt. Etwas größer, aber genauso bunt ist der Wiedehopf. Mit seinem farbenfrohen Kamm sieht er aus, als hätten ein Huhn und eine Drossel ein Techtelmechtel gehabt. Der in Europa selten gewordene Vogel brütet in Baumhöhlen und lässt sich gerne im Altbestand und Totholz von Streuobstwiesen nieder.
Von Runzeln, Falten und Fruchtsäften
Die Birnen krumm, die Äpfel runzelig? Das gehört bei Streuobstwiesen mit dazu. Sie sind die natürlichste Form des Obstanbaus und dementsprechend nicht auf maximalen Ertrag oder besonders schöne Früchte getrimmt. Da purzeln auch mal krumme Dinger von den Zweigen. Was sich nicht für den hochpreisigen Verkauf im Supermarkt eignet, hat jedoch genauso seine Daseinsberechtigung. Man muss nur wissen, wie man die Früchte verarbeitet. Streuobst eignet sich hervorragend zum Herstellen von Obstsalaten, Kompotten oder Zwetschgenröstern, für das Pressen von Säften oder das Einkochen von Marmeladen. Wer mit dem höheren Säuregehalt der naturbelassenen Früchte nicht so gut zurechtkommt, wird diese Art der Weiterverarbeitung zu schätzen wissen.
Gut festhalten!
Wir denken nicht allzu oft an den Boden unter unseren Füßen. Der verliert aber gerne mal an Haftung, wenn wir ihn nicht richtig bewirtschaften und pflegen. Starke landwirtschaftliche Nutzung und das Abtragen natürlicher Wiese- und Weidelandschaften sowie Waldflächen führen dazu, dass Niederschlag und Wind den Boden geradezu abtragen und aushöhlen. Was dagegen hilft, sind gesunder Graswuchs mit starken Wurzeln sowie Bäume, die sich richtig fest in den Boden krallen und so auch das Erdreich befestigen. Streuobstwiesen liefern somit einen doppelt wichtigen Beitrag zur Bodenbefestigung und beugen Erosion vor.
Steter Rückgang
Streuobstwiesen stehen auch deshalb im Fokus von Natur- und Artenschützern, weil ihr Bestand seit Mitte des 20. Jahrhunderts stark rückläufig ist. Extensive Landwirtschaft und ein damit verbundenes Umschwenken auf kleinwüchsige, einfacher zu bewirtschaftende Baumsorten führen zu kontrollierterem Obstbau, der vielen Tier- und Pflanzenarten den Lebensraum kostet. Das Gegenteil einer Streuobstwiese, auf der Bäume mit hohen Stämmen und ausladenden Kronen stehen, sind Obstplantagen. In Reih und Glied stehen hier die Bäume, Artenvielfalt ist ein Fremdwort. Deshalb ist es umso wichtiger, Streuobstwiesen zu erhalten und so natürliche Rückzugsräume für viele Lebewesen zu bewahren. Wenn Sie Streuobstwiesen in Ihrer Umgebung haben, setzen Sie sich also bei Ihrem nächsten Spaziergang in den Schatten der knorrigen Bäume und verfolgen Sie das rege Treiben, Summen und Brummen. So erledigen Sie Meditation und Kurzurlaub in einem.