Unsicherheit bereitet immens viel Stress. Verliere ich durch die Krise meinen Arbeitsplatz oder nicht? Wenn ja, was bedeutet das für meine berufliche Zukunft? Nicht zu wissen, ob uns gute oder schlechte Nachrichten ins Haus stehen, macht uns mehr zu schaffen als der Erhalt dezidiert negativer Neuigkeiten. Ich selbst war ebenso von dieser Unsicherheit betroffen. Es war anfangs nicht abschätzbar, ob meine Leistungen im Unternehmen weiterhin gebraucht würden und wie es weitergehen könnte. Diese Unsicherheit hat mich wahnsinnig belastet, mehr noch, als hätte ich einfach ein Kündigungsschreiben bekommen. Ist das nicht ein wenig eigenartig? Immerhin besteht in einer unsicheren Situation ja noch die Möglichkeit eines guten Ausgangs. Woher kommt also der Stress?
Besser Feind als fremd
Unser Hirn rechnet gerne mit Fixdaten. Mit einem „Entweder-oder“ können wir nicht gut umgehen. Wie gut wir Ungewissheit aushalten, beschreibt die sogenannte Ambiguitätstoleranz. Dieser etwas sperrige Begriff bezeichnet die Intensität der Reaktion eines Menschen auf Unsicherheit bzw. Ungewissheit. Je weniger Reaktion wir zeigen, desto höher ist unsere Toleranz, desto mehr Ungewissheit „halten wir aus“, ohne darunter zu leiden. Unsicherheiten sind für alle Menschen ein Problem. Wieso sollten wir dann überhaupt versuchen, besser darin zu werden, sie auszuhalten?
Kopf im Sand
Sind wir mit zu vielen unsicheren Variablen konfrontiert, wissen wir nicht, in welche Richtung wir gehen sollen. Verliere ich meinen Job, weil meine Branche in der Krise steckt? Wenn ja, was dann? Wenn nein, muss ich mit Gehaltseinbußen rechnen? Kann ich meine Kinder versorgen? Sich hier verloren zu fühlen, ist normal. Jedem würde es wohl im ersten Moment so gehen. Aber – Vorsicht bei allzu großer Aversion gegen Ambiguität im Allgemeinen. Können wir uns so gar nicht mit Mehrdeutigkeiten und Ungewissheit arrangieren, tendieren wir zu einer starken Schwarz-Weiß-Sicht der Welt. Engstirnigkeit kann die Folge sein. Populismus und Panikmache fallen auf fruchtbaren Boden, weil wir krampfhaft nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen suchen, nur um die Unsicherheit aus unseren Gedanken fernzuhalten. Aber was beeinflusst eigentlich die Art und Weise, wie wir Ungewissheit wahrnehmen?
Körper, Geist und Umwelt
So wie die verschiedenen Seiten unserer Persönlichkeit lässt sich auch unsere Ambiguitätstoleranz als Ergebnis von Genetik (Erbgut), Umweltfaktoren (Erziehung, soziale Schicht, Arbeitsumfeld etc.) und eigenem Zutun beschreiben. Unsere Gene geben vor, wie unser Gehirn grundsätzlich gepolt ist. Bereits Säuglinge und Kleinkinder reagieren unterschiedlich auf unbekannte Reize. Laute Umgebungsgeräusche lassen manche Kinder verängstigt zusammenzucken. Andere wenden sich neugierig dem Reiz zu. Umweltfaktoren und Sozialisierung sind der zweite Eckpfeiler. Wird im Elternhaus Wert auf einen positiven Zugang zu Neuem gelegt, werden Neugier gefördert und Toleranz bestärkt, hilft das Kindern, auf Unsicherheiten nicht sofort mit Stress zu reagieren. Und schlussendlich gibt es das eigene Zutun als Quelle der Stressresilienz. Wie so oft gilt auch hier: üben, üben, üben.
Sich selbst akzeptieren lernen
Oft hadern wir deswegen so mit Situationen, weil wir uns selbst nicht verzeihen können, mal wo nicht weiterzuwissen. Wir müssen akzeptieren lernen, dass nicht alles in unserer Macht liegt, dass es externe Variablen gibt und dass wir grundsätzlich in einer Welt leben, die von Tag zu Tag komplexer wird. Informationen prasseln aus allen Richtungen auf uns ein und nicht immer können wir in Zeiten digitalen Overloads die Übersicht über alles behalten. Daher gilt es, die eigenen Standards nicht zu hoch anzusetzen und sich weniger von Perfektionismus treiben zu lassen. Kurz: Sie müssen nicht alles wissen. Sie müssen nicht alles können. Sie müssen nicht zu jeder Zeit eine passende Antwort auf jede Frage haben.
Gut und Böse hinterfragen
Wir fürchten Ungewissheit und Veränderung, weil sie unser Leben zum Schlechteren verändern könnten. Aber was ist gut? Und was ist schlecht? Mit Anfang zwanzig habe ich eine furchtbare Zeit durchgemacht – allein in London, ein furchtbarer Job, keine Freunde, kaum Geld. War es schlimm? Ja. Habe ich draus gelernt? Und wie. Würde ich es nochmal durchmachen wollen? Niemals. Bin ich froh, dass ich es durchgemacht habe? Auf jeden Fall. Sie sehen, wo ich hinwill. Gut und Böse sind nicht in Stein gemeißelt, sie sind Konstrukte unseres Geistes, der in ständigem Abgleich mit bereits Erlebtem versucht, eine momentane Situation in eine passende Schublade zu stecken. Dass es mir momentan schlecht geht, heißt nicht, dass es sich negativ auf mein Leben auswirken muss. Negative Erfahrungen lassen uns oft mehr wachsen, reflektieren und weiterkommen als positive. Weil wir nicht am Status quo festhalten können, sondern an unserer Selbstwirksamkeit arbeiten müssen. Selbstwirk… was?
Mit Selbstwirksamkeit aus der Misere
Selbstwirksamkeit ist das Um und Auf, um gut durch eine Krise zu kommen und sich im Leben weiterzuentwickeln. Sie bezeichnet das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, sich selbst aus der Patsche helfen zu können. Bildlich erklärt: Verfügen wir über genügend Selbstwirksamkeit, stehen wir fest verankert auf stabilem Untergrund. Nichts wirft uns so leicht aus der Bahn. Wirft uns jemand (das Leben) einen Ball hin (ein Problem), können wir ihn einfach fangen. Geringe Selbstwirksamkeit bedeutet hingegen, dass wir auf wackeligem Untergrund stehen, auf einer Wackelplatte, wie man sie verwendet, um den Gleichgewichtssinn zu trainieren. Wirft uns jetzt jemand einen oder gar mehrere Bälle zu, werden wir uns schwertun. Denn wir sind mehr mit uns selbst beschäftigt, um nicht zu stürzen, als damit, Bälle zu fangen.
Selbstwirksamkeit lässt sich stärken, indem wir z. B. bewusst Routinen nachgehen, die das Wohlbefinden steigern und unser Leben auch nachhaltig positiv beeinflussen. Dazu zählen das Aufrechterhalten von Sozialkontakten (ob persönlich oder digital) sowie ausreichend Bewegung und gesunde Ernährung. Zu wissen, dass man kontinuierlich an der eigenen mentalen und körperlichen Gesundheit arbeitet, stärkt Selbstliebe und Selbstvertrauen.
Ideen-Ping-Pong
Eine andere Möglichkeit, sich in einer Krise auf die eigene Selbstwirksamkeit zu besinnen, ist die des Ideen-Ping-Pongs. Eine Kombination aus Was-wäre-wenn gepaart mit Was-habe-ich-alles-geschafft.
Und das geht so: Suchen Sie sich einen vertrauensvollen Ansprechpartner und gehen Sie die folgenden Szenarien durch. Was ist das Schlimmste, das mir passieren kann? Und wie schlimm wäre das wirklich? Sie verlieren Ihren Job? Okay, das ist ein harter Schlag. Aber zerstört Sie das? Was können Sie tun, um da wieder rauszukommen? Welche Ressourcen (eigenes Erspartes, Einfallsreichtum, andere berufliche Fähigkeiten) können Sie nutzen, um sich wieder aus dem Loch zu ziehen? Hier sind wir wieder sehr nahe am Perspektivenwechsel von vorher. Ist es schlimm? Ohne Zweifel. Hat es nur Negatives? Sicher nicht.
Teil zwei der Übung ist das Besinnen auf bereits vorhandene Fähigkeiten, die sich durch Erfolge belegen lassen. Sie haben es geschafft, trotz furchtbarer Umstände allein im Ausland zu überleben? Sie haben schon einmal eine längere Strecke ohne Arbeit ausgestanden? Sie haben wunderbare Freunde und sind es wert, geliebt zu werden? Das alles sind Erfolgserlebnisse, auf die Sie sich besinnen können, um wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu erlangen.
Wir wachsen, statt zu zerbröseln
Unsicherheit, eine ungewisse Zukunft – das sind keine schönen Gefühle und Gedanken. Aber: Sie sind nicht allein damit, den meisten geht es wie Ihnen. Was wir tun können, ist aktiv daran zu arbeiten, uns in Akzeptanz zu üben, unsere Selbstwirksamkeit zu stärken und unseren Kindern beizubringen, dass Unsicherheiten zum Leben dazugehören und uns wachsen lassen.
WEITERFÜHRENDE LINKS:
- McLain, David L et al. „Ambiguity tolerance in organizations: definitional clarification and perspectives on future research.“
Erschienen in: Frontiers in psychology vol. 6 344. 28 Apr. 2015