Ähnlich dem Gender-Pay-Gap (zu Deutsch: geschlechtsspezifische Einkommensschere) gibt es in der Sexualforschung den Pleasure Gap und den Orgasm Gap. Bezeichnet werden hierbei die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn es darum geht, Sex als lustvoll zu empfinden oder beim Sex zum Orgasmus zu kommen. Aber woher kommen diese Unterschiede?
Jeder hat’s gern fein
Ein gesundes und erfülltes Sexleben sollte niemandem verwehrt werden. Umso schlimmer, dass Frauen selbst im 21. Jahrhundert im Bett sehr oft zu kurz kommen – und somit oft gar nicht kommen. Studien zeigen, dass der Unterschied zwischen heterosexuellen Frauen und heterosexuellen Männern am höchsten ist. Geben 95 Prozent der Männer an, beim Sex immer oder meistens zum Orgasmus zu kommen, ist es bei den Frauen gleich mal ein Drittel weniger.
Woher kommt der Pleasure Gap?
Es gibt eine einfache und eine komplizierte These als Antwort auf diese Frage. Die einfache: Das Wissen um den weiblichen Orgasmus und die weibliche Anatomie hat, nun ja, Wachstumspotenzial. Einfach wäre daher auch die Lösung des Problems. Denn die hieße: Informiert euch! Dann werdet ihr euch selbst oder den Frauen in eurem Leben zu aufregenden Stunden verhelfen. Die komplizierte Antwort: Wir haben ein kulturelles Problem. Und die Lösung hierfür ist (noch) nicht in Sicht.
Wer ist schuld?
Um Lust zu genießen, müssen wir erst einmal verstanden haben, wie sich Lust anfühlen kann und dass wir das Recht darauf haben, sie zu empfinden. Nicht überall wird die Lust der Frau jener des Mannes gleichgesetzt, als gleich wichtig oder als gleich erstrebenswert angesehen. Nicht überall hat die Frau überhaupt das Recht, Lust zu empfinden. Schuldgefühle und das Abstempeln von weiblicher Lust als unrein sind in zahlreichen Kulturen weit verbreitet. Klassische Geschlechterrollen sehen den Mann sexuell im Lead. Sie sehen auch das Ziel von Sex – wenn nicht in der Fortpflanzung – in der Lustmaximierung beim Mann. Solange Frauen also nicht klar ist, dass ihr Lustempfinden genauso wichtig und richtig ist wie jenes des Mannes, drehen sich alle anderen – weit einfacheren – anatomischen Fragen und Antworten im Kreis.
Mit wem man sich bettet …
Dass die Lösung für das Problem aus These Nummer eins (unzureichendes Wissen) tatsächlich in greifbarer Nähe ist, zeigt die Verteilung der Orgasmusfähigkeit zwischen hetero- und homosexuellen Frauen. Während nur 65 Prozent der heterosexuellen Frauen angaben, beim Sex zum Höhepunkt zu kommen, „schaffen“ das immerhin 89 Prozent der homosexuellen Frauen, die an der Studie (USA, Sample-Größe: 52.000) teilgenommen hatten. Frauen wissen also, was Frauen wollen. So weit, so einleuchtend. Also: Zeit für Sexualkunde!
Kann man guten Sex lernen?
Menschen lieben einfache Antworten. Und diese können wir hier guten Gewissens geben: JA. Jede und jeder kann lernen, guten Sex zu haben. Guter Sex ist im Übrigen nicht gleichbedeutend mit Sex, an dessen Ende ein Orgasmus steht. Auch schlechter oder mittelmäßiger Sex kann im Orgasmus enden. Vorausgesetzt, man(n) weiß, was man(n) braucht. Sich selbst kennenzulernen, herauszufinden, was einem guttut und wo’s richtig guttut. Das alles gehört zu einem gesunden Sexleben dazu und – unter uns –geht das auch solo. Nicht immer ist ein Gegenüber vonnöten. Vor allem, wenn man gerade dabei ist, herauszufinden, was einem eigentlich wirklich Spaß macht und Lust bereitet. Sehen Sie’s als Trockentraining und kleine Übung für den (Ernst-)Fall, dass Sie dem Gegenüber die richtigen Kniffe beibringen können, damit im geteilten Bett nicht so schnell der Ofen ausgeht und Sie lange gemeinsam bei der schönsten Sache der Welt bleiben.
Der Kopf spielt immer mit
Die schlechte Nachricht zum Schluss: Ohne Feuerwerk im Oberstübchen keine Explosion im Untergeschoss. Selbst wenn Männern zugeschrieben wird, dass sie stärker auf körperliche Reize reagieren und Frauen vor allem den Kopf frei haben müssen, sei hier erwähnt: Der Orgasmus entsteht im Kopf. Bei Männlein und Weiblein. Bis heute ist nicht erforscht, was im Gehirn genau den entscheidenden Reiz ins erregte Untenrum schickt. Sicher ist nur: Je weniger Stress wir haben, desto besser klappt’s in der Kiste. Und da guter Sex förderlich für Stressabbau ist, haben wir es hier mit einem unerhört guten, selbstverstärkenden Kreislauf zu tun. Viel Spaß beim Erkunden!
Weiterführender Artikel:
- Frederick, D.A., John, H.K.S., Garcia, J.R. et al. Differences in Orgasm Frequency Among Gay, Lesbian, Bisexual, and Heterosexual Men and Women in a U.S. National Sample. Arch Sex Behav 47, 273–288 (2018).