In der Werbung sind die kleinen Winzlinge echte Helden. Die Rede ist von Probiotika. Das sind Mikroorganismen, die sich in unserem Darm ansiedeln und unsere Darmflora stärken können. Nahrungsmittelhersteller handeln Probiotika gerne als Multitalente, die viele Krankheiten verhindern können. Mediziner sehen deren Wirkung eher umstritten. Wie sinnvoll sind Probiotika wirklich?
Universalgenies mit Fragezeichen
Bestimmt haben Sie schon einmal die Verpackungsrückseite eines Joghurts näher betrachtet. Sind Ihnen Namen wie Lactobacillus casei oder Bifidobacterium bifidum untergekommen? Dabei handelt es sich um Milchsäurebakterien, die schädliche Keime in unserem Darm abtöten.
Milchprodukte wie LC1, Actimel oder Yakult, machen sich genau diesen Effekt zu Nutze und liegen voll im Trend. Die gesundheitsfördernde Wirkung probiotischer Bakterien ist schon seit Langem bekannt. 1885 stufte der deutsche Kinderarzt Theodor Escherich die im Darm lebenden Bakterien nicht nur als gefährlich, sondern als für den Menschen durchaus nützlich ein. Und auch die Werbeindustrie ist von den angeblichen Universalgenies überzeugt.
Die regelmäßige Zufuhr von probiotischem Joghurt soll die natürlichen Abwehrkräfte stärken, vor Erkältungen schützen und die Verdauung fördern. Eine gesunde Darmflora soll sich auch positiv auf Allergien, Haut- und Darmerkrankungen, Asthma und sogar Nahrungsmittelunverträglichkeiten auswirken. Doch was ist dran am Gesundheitsversprechen der Hersteller?
Schützende Freunde?
Wussten Sie, dass in unserem Magen-Darm-Trakt zwischen 400 und 500 Arten von Bakterien existieren? Unsere winzigen Darmgesellen übernehmen dabei lebenswichtige Funktionen, indem sie den Stoffwechsel unterstützen und schützend gegen krankmachende Keime wirken.
Nehmen die schädlichen Mikroorganismen allerdings überhand, gerät die Bakterienkultur aus dem Gleichgewicht. Durchfallerkrankungen sind häufig die Folge. Auch falsche Ernährung, Stress und Umweltbedingungen haben Einfluss auf unseren Darm. Probiotische Joghurts können dabei rasch Abhilfe bringen, indem sie die Darmflora wieder aufbauen. Zahlreiche Studien belegen diesen Effekt.
Probiotische Drinks helfen bei Durchfall
Bisher am besten untersucht ist die Wirkung probiotischer Keime auf Durchfallerkrankungen. Hier kann der Einsatz von Milchsäurebakterien durchaus sinnvoll sein. Es wird vermutet, dass sie es Krankheitserregern erschweren, sich im Darm einzunisten, indem sie ihnen den Platz streitig machen und heilsame Substanzen freisetzen.
Zahlreiche Studien stellten fest, dass die Behandlung mit Probiotika die Dauer einer anhaltenden Durchfallerkrankung verkürzt. Zudem wurde beobachtet, dass sie Bauchschmerzen, Übelkeit, Sodbrennen und Blähungen lindern können und mithelfen, die Darmflora nach einer Antibiotika-Therapie schneller wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Geschönte Forschungsergebnisse?
Probiotika haben allerdings einen Makel. Die Keime wirken bei jedem Menschen unterschiedlich. Nicht immer stellt sich eine Verbesserung der Krankheitssymptome ein. In einigen Studien wurde bestimmten probiotischen Stämmen sogar ein verdauungsfördernder Effekt zugeschrieben.
Mediziner und Wissenschaftler stehen bisherigen Studien skeptisch gegenüber und warnen vor einem bedenkenlosen Verzehr von Functional Food. Hauptgrund: Viele Studien stammen von den Labors und Forschungsinstituten der Hersteller selbst.
"Wir wissen über die Nebenwirkungen von Probiotika einstweilen viel zu wenig. Ich finde es gefährlich, Probiotika ohne ärztliche Kontrolle zu sich zu nehmen. Genau das passiert aber", meint der Innsbrucker Ernährungsmediziner Professor Maximilian Ledochowski.
Nahrungsmittelsicherheit fehlt
Mediziner schließen selbst mögliche Risiken beim Verzehr hoch dosierter Nahrungsergänzungsmittel nicht aus. "Es sollte der industrielle Lebensmittelhersteller in Zukunft die Beweislast tragen müssen, dass sein Nahrungsmittel nicht krank macht. Könnten wir eine solche Regelung erreichen, würden wahrscheinlich Tausende Nahrungsmittel aus den Regalen verschwinden. Wir brauchen mehr Nahrungsmittelsicherheit“, sagt Ledochowski.
Zudem sind dem Ernährungsspezialisten Fallberichte untergekommen, in denen Bakterien bei abwehrschwachen Menschen in die Blutbahn gelangt sind und dort eine schwere Blutvergiftung auslösten. Mediziner raten daher allen Menschen mit Autoimmunerkrankungen und Krebspatienten, im Umgang mit Probiotika vorsichtig zu sein.
Probiotika: Sinnvoll oder sinnlos?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es auf dem Gebiet noch großen Forschungsbedarf gibt. Negative Auswirkungen durch den Verzehr von probiotischen Kulturen in passenden Mengen sind bei gesunden Menschen bisher nicht bekannt. Zumindest für Gesunde gelten sie als für den Verzehr unbedenklich.
Vorsicht ist bisweilen bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem und bei Säuglingen geboten. Ihre sehr spezifische Darmflora könnte sensibel auf die Eindringlinge reagieren.
Ob und wie sinnvoll der Verzehr probiotischer Nahrungsmittel wirklich ist, bleibt ungewiss. Im Endeffekt muss jeder selbst entscheiden, was er seinem Körper zumuten will und wie weit er der Werbung trauen kann.
Die gute alte Buttermilch...
Mediziner raten, zu althergebrachten Nahrungsmitteln wie Buttermilch, Kefir, gesäuerte Milchprodukte oder fermentiertes Gemüse, wie z.B. Sauerkraut, zu greifen. Sie sind preiswerter als probiotische Produkte und enthalten auch wertvolle lebendige Milchsäurebakterien.
Natürliche Probiotika sind zudem magenfreundlicher, da sie sich nicht direkt in unserem Darm festsetzen, sondern zuvor von der Magensäure zersetzt werden.
Fermentiertes Gemüse können Sie wunderbar selbst herstellen. Im Internet finden Sie zahlreiche Anleitungen und Tipps dazu. Die Milchsäurebakterien überstehen selbst längere Lagerzeit im Glas. So können Sie jederzeit ganz natürlich für eine gesunde Darmflora vorsorgen!
Genießen Sie kritisch, schließlich geht es um Ihre Gesundheit!