Meine erste Begegnung mit Ayurveda fand im Supermarkt statt. Ich stand etwas verloren vor dem Tee-Regal mit gefühlt 20 Millionen Auswahlmöglichkeiten. Vielleicht war es eine göttliche Eingebung, vielleicht auch einfach nur sehr geschicktes Verpackungsdesign. Vermutlich ein bisschen von beidem. Jedenfalls wanderte meine Hand zu genau einer dieser gefühlt 20 Millionen Auswahlmöglichkeiten. „Ayurvedische Gewürzteemischung mit Kakaoschalen, Süßholz und Zimt“, stand auf der Packung. Ich hatte zwar keine Ahnung, was das heißt, aber ich wollte es haben. Zu Hause angekommen musste ich meine neue Entdeckung natürlich gleich verkosten und stellte fest: Was auch immer dieses Ayurveda-Zeug ist, es schmeckt verdammt gut. Die weisen Sprüche auf dem Etikett am Ende der Teebeutelschnur rundeten das Genusserlebnis ab. Wie ich ein paar Jahre später erfuhr, geht’s bei Ayurveda hauptsächlich darum, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Und diese Tasse Tee hat das bei mir geschafft - zumindest für ein paar Minuten. Aber was steckt dahinter?
Von Ost nach West
Ayurveda gilt als traditionelle indische Heilkunst und ist bereits mehrere Tausend Jahre alt. Bis heute steht es in Indien, Nepal und Sri Lanka auf der medizinischen Tagesordnung. In Zeiten der Globalisierung finden ayurvedische Ansätze aber immer öfter auch ihren Weg zu uns in den Westen - von Gewürzteemischungen über Rezepte bis hin zur Massage. Dabei steht ein ganzheitlicher und individueller Zugang im Vordergrund, der sich nach den fünf Elementen und den daraus entstehenden drei Doshas (energetische Konstitutionen) richtet.
Ganzheitlich und individuell
Im Ayurveda wird der Mensch als Ganzes, das heißt als Einheit aus Körper, Geist und Seele, betrachtet. Gesundheit gilt dabei als natürlicher Zustand der Balance in und zwischen diesen Bereichen. Krankheit hingegen entsteht, wenn das Gleichgewicht durch einen falschen Lebensstil oder einer nicht typgerechten Ernährung verloren geht. Stichwort typgerecht: Im Ayurveda wird Bio-Individualität groß geschrieben. Je nach individueller Konstitution gibt es unterschiedliche Empfehlungen, wie eine gesunde Balance erhalten oder wieder hergestellt werden kann.
Fünf Elemente, drei Doshas
Nach ayurvedischem Verständnis setzt sich jedes Lebewesen aus den fünf Elementen Luft, Raum, Feuer, Wasser und Erde zusammen. Daraus entstehen die drei Doshas (energetische Konstitutionen): Vata (Luft und Raum), Pitta (Feuer und Wasser) und Kapha (Erde und Wasser). Alle drei Doshas sind in jedem Organismus vorhanden, allerdings verschieden stark ausgeprägt. In der Regel sind ein oder zwei Doshas dominant. Sie beeinflussen unseren körperlichen, psychischen und seelischen Gesamtzustand. Jeder Konstitutionstyp neigt zu bestimmten Beschwerden, wenn er aus dem Gleichgewicht gerät. Die Balance kann aber durch einfache Maßnahmen und insbesondere durch eine passende Ernährungsweise wieder hergestellt werden.
Ayurvedische Ernährung
Im Ayurveda gelten ungeeignete Ernährung und falsche Essgewohnheiten als Hauptverursacher vieler Krankheiten. Deshalb sind individuelle Ernährungsempfehlungen ein wichtiger Bestandteil der ayurvedischen Medizin. Es geht darum, die richtigen Nahrungsmittel zur richtigen Zeit zu essen - idealerweise auch noch abgestimmt auf die Jahreszeiten und die Konstitution jedes Einzelnen. Das klingt ein bisschen nach einer Wissenschaft. Aber genau das soll Ayurveda ja auch sein: Die Wissenschaft des Lebens. In Wahrheit ist es aber viel einfacher (und praktischer), als es auf den ersten Blick erscheint.
Von der Wissenschaft zur Praxis
Abgesehen von den besonderen Ernährungsweisen für die einzelnen Konstitutionstypen (auf die wir in weiteren Artikeln näher eingehen werden), gibt es auch einige allgemein gültige Ernährungsempfehlungen aus der ayurvedischen Medizin.
Hier die Top-10-Ayurveda-Tipps für alle:
- Nur essen, wenn man Hunger hat.
- Erst wieder essen, wenn man die vorherige Mahlzeit verdaut hat. Das heißt man sollte ca. 4-6 Stunden „Pause“ zwischen den Gerichten lassen.
- Die größte Mahlzeit mittags einnehmen, weil da die Verdauung auf Hochtouren läuft.
- Immer in ruhiger, angenehmer Umgebung und im Sitzen essen.
- Etwa 15 Minuten vor und nach dem Essen keine Flüssigkeit zu sich nehmen, da dies die Verdauungssäfte verdünnt und somit schwächt.
- Wasser zwischen den Gerichten abgekocht, in Körpertemperatur und kleinen Schlucken trinken.
- Den Magen nur zu ca. 75-80% (= ca. 2 Hände voll) füllen.
- Vorwiegend frische, regionale und saisonale Lebensmittel essen.
- Alle sechs ayurvedischen Geschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb) in jeder Mahlzeit zu sich nehmen.
- Langsam, bewusst und frei von Ablenkungen essen.
Man muss es auch nicht gleich übertreiben und kann sich einfach nur mal einen dieser Tipps zu Herzen nehmen und in den Alltag integrieren. Ayurveda ist geduldig, das kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen. Jetzt muss ich schmunzeln, wenn ich an meine erste und scheinbar willkürliche Begegnung mit dieser traditionell-indischen Heilkunst im Supermarkt zurückdenke. Einige Jahre und unzählige magische Tassen Tee später sitze ich jetzt hier, schlürfe an meiner ayurvedischen Gewürzteemischung aus Kakaoschalen, Süßholz und Zimt und schreibe über die Wissenschaft des Lebens. Man weiß tatsächlich nie, wozu so eine Supermarkt-Expedition führen kann. Namaste.