Was aus purer Neugier begann, endete in ungesund zwanghaftem Verhalten. Ich kenne viel zu viele Beispiele, in denen Kalorienzählen „rein aus Interesse“ so ausgeartet ist, dass einem wortwörtlich der Appetit verging. Wenn man nur mehr Zahlen anstelle von Lebensmitteln sieht, nur mehr Makros anstatt Nahrung und wenn jeglicher Genuss zur Sünde wird – dann hat man wohl über das Ziel hinausgeschossen.
Kalorien – was ist das überhaupt?
Kalorien sind eine physikalische Einheit der Energie, genauer gesagt der Wärmemenge. Soll heißen: Eine Kalorie ist die Energie, die benötigt wird, um ein Gramm Wasser um ein Grad Celsius zu erwärmen. Es ist (neben Joule) auch das Maß, das verwendet wird, um den Energiegehalt von Nahrung anzugeben.
Energiebilanz – die Grundlage des Abnehmens?
Aus der Gegenüberstellung von aufgenommenen und verbrannten Kalorien entsteht die sogenannte Energiebilanz. Das wohl bekannteste Credo zum Abnehmen lautet: Die Energiebilanz muss negativ sein. Das bedeutet: Es muss mehr Energie verbraucht als zugeführt werden. Grundsätzlich ist das schon richtig. Trotzdem vertritt man mittlerweile weitgehend die Ansicht, dass die Energiebilanz doch nicht alles ist.
1. Es lassen sich sowohl die genaue Kalorienzufuhr als auch der genaue Verbrauch sehr schwer ermitteln. Selbst wenn man den Aufwand betreibt, jede einzelne Zutat abzuwiegen, ist der angegebene Kaloriengehalt immer nur ein Durchschnittswert. Noch schwieriger wird es aber, den tatsächlichen Verbrauch zu berechnen. Denn dieser hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: u. a. von Alter, Geschlecht, körperlichem Aktivitätslevel, individueller Körperzusammensetzung. Im Alltag und ohne medizinische Messgeräte ist es also quasi unmöglich, seine exakte Energiebilanz zu ermitteln.
2. Kalorien sind nicht alles. Auch die Zusammensetzung der Nahrung, das Timing der Mahlzeiten, individuelle Stoffwechselvorgänge und etwaige Unverträglichkeiten beeinflussen, wie wir die zugeführte Energie verarbeiten. Sogar die Geschwindigkeit und die Stimmung, in der wir essen, beeinflussen unsere Verdauung und die Verstoffwechselung der aufgenommenen Nahrung. Auch Schlafgewohnheiten und Stress sind wichtige Faktoren. Und Kalorienzählen führt oft zu zusätzlichem Stress, der uns dann wieder bei der gewünschten Gewichtsreduktion im Weg steht. Ein Teufelskreis. Wie durchbricht man ihn? Im Folgenden ein paar grundlegende Tipps für nachhaltiges, gesundes Abnehmen:
Weniger Kopfzerbrechen, mehr Bauchgefühl
Die eine perfekte, universelle Diät gibt es nicht. Denn jeder von uns ist einzigartig – und so sollte auch unsere Ernährungsweise sein. Dieses Prinzip der Bio-Individualität gilt nicht nur in Bezug auf die Auswahl der Lebensmittel, sondern auch für den Energiebedarf und die Körperzusammensetzung. Nicht immer sind unsere ästhetischen Ziele auch gesund. Im Großen und Ganzen lässt sich sagen: Unser Körper weiß schon, was er braucht. Und wir können lernen, auf dieses Wissen zuzugreifen – wortwörtlich wieder auf unser Bauchgefühl zu hören. Zu essen, wenn wir hungrig sind, und zu lernen, Hunger von Appetit zu unterscheiden, sind gute erste Schritte in diese Richtung.
Rhythmus ist alles
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die Natur funktioniert in Zyklen – und so tut es auch unser Körper. Regelmäßige Essenszeiten geben Sicherheit und Struktur, verhindern Heißhunger und können dabei helfen, unsere Energiezufuhr in Balance zu halten. Auch langsames, achtsames Essen fördert die Verdauung und Nährstoffaufnahme und trägt dazu bei, dass wir uns nicht überessen.
Qualität vor Quantität
Mindestens genauso wichtig wie wie viel man isst, ist, was wir essen. Denn nicht nur Kalorien spielen eine Rolle, sondern auch, wo sie herkommen. Hier gibt es ein paar einfache, grundlegende Prinzipien, mit denen wir die Qualität unserer Nahrung beurteilen können: Regional, saisonal, möglichst unverarbeitet und biologisch sollte es sein. Junkfood hingegen sollte minimiert bzw. à la „Crowding-out“ durch gesündere Alternativen ersetzt werden.
Nicht nur Essen nährt
Was in der Abnehm-Debatte auch gerne übersehen wird: psychische bzw. emotionale Faktoren. Je ausgeglichener andere Bereiche unseres Lebens sind, desto einfacher ist es auch, unseren Speiseplan in Balance zu halten. In unserem Artikel über integrative Ernährung gehen wir näher auf diesen ganzheitlichen Ansatz ein.
Fazit: Kalorien? Ja, aber …
Kalorien können zwar als grobe Orientierungshilfe dienen, sollten aber nicht als unfehlbarer Kompass gesehen werden – schon gar nicht dann, wenn das Kalorienzählen auf Kosten der Lebensqualität geht. Genuss ist ein wichtiger Faktor in Bezug auf unsere Verdauung und Gesundheit.
Wie wäre es also, anstatt von Kalorien einfach mal die eigene Lebensenergie, Leistungsfähigkeit oder Stimmung zu tracken? Was tut Ihnen gut? Was gibt Ihnen Kraft? Was genießen Sie in vollen Zügen? Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie bestimmte Lebensmittel essen? Orientieren Sie sich daran und Sie werden sehen: Kalorien sind nicht alles im Leben – und auch nicht beim Abnehmen.
UNSER BUCHTIPP:
- Marc David: The Slow Down Diet – Eating for Pleasure, Energy & Weightloss. 2015